22/12/2021

Robin Gosens im Interview: „Ich habe den größtmöglichen Sinn des Lebens verstanden“

Robin Gosens hat sich 2021 in die Herzen der Fans gespielt und einen Spiegel-Bestseller geschrieben. Wir haben mit ihm über ein Wahnsinnsjahr, Elternglück, Corona und den Videobeweis gesprochen.

Robin, die Frage Wie geht es dir” steht bei Interviews eigentlich als Langweiler-Frage auf dem Index. Aber du bist seit Anfang Oktober mit einer Oberschenkelverletzung außer Gefecht. Also: Wie geht es dir?

Ich war bereits wieder im Training und wieder sehr fit. Leider gab es dann einen kleinen Rückschlag, das Fußballjahr 2021 ist für mich gelaufen. Aber ich hoffe, dass ich im Januar wieder angreifen kann, auch in der Nationalmannschaft.

Du hast zuvor bei der Europameisterschaft für Furore gesorgt, wurdest beim 4:2-Sieg über Portugal mit einem Tor und zwei Torvorlagen zum „Man of the match“ gekürt….

Dieses Turnier war es für mich sicherlich die größte sportliche Erfahrung, die ich jemals gemacht habe. Übertreffen würde dies nur eine Teilnahme an der WM. Für das eigene Land zu spielen, ist für mich einfach das Größte. Ein solches Spiel wie gegen Portugal erlebt ein Spieler vielleicht nur einmal in seiner Karriere. Ich hätte sogar fast zwei Tore erzielt, eines wurde ja dann wegen einer vorhergehenden Abseitsstellung aberkannt.

Plötzlich warst du unfassbar populär. 

Ja, das war gigantisch. Wobei ich diese Dimensionen nicht unbedingt gebraucht hätte. Plötzlich standen Fotografen vor dem Haus meiner Eltern. Für einen Bauernjungen war das ganz schön viel.  Aber dieses Erlebnis war einfach unfassbar.

Umso bitterer dann das Aus im Achtelfinale gegen England… 

Ich habe nur noch eine riesengroße Leere empfunden. Jeder von uns hat sich deutlich mehr erhofft. Ich habe mehrere Wochen gebraucht, um das alles zu verarbeiten.

Stimmt es, dass du die Nachricht von Joachim Löw vor deiner ersten Berufung zunächst für einen Scherz gehalten hast?

Ja. Der Bundestrainer hat mir auf die Mailbox gesprochen, dass er mich belohnen will für das, was ich geleistet habe und bat um einen Rückruf. Ich habe genügend Kumpel, denen ich einen solchen Scherz zutrauen würde (lacht). Aber dann war es doch real. Und mir kamen die Tränen. Dieser Moment wird ewig bleiben, weil ich immer davon geträumt habe, Nationalspieler zu werden. Ich werde Joachim Löw dafür immer dankbar sein.

Wie ist dein Draht zu Nachfolger Hansi Flick?

Ich habe sofort gespürt, wie sehr er für diesen Job brennt. Er bringt nochmal neue Energie rein. Aber wir dürfen nie vergessen, was Joachim Löw für Fußball-Deutschland geleistet hat. Und er ist ein ganz feiner empathischer Mensch, der sich immer vor die Mannschaft gestellt hat.

Robin, unverändert diktiert Corona unseren Alltag. Keine Region in Europa stand zu Beginn der Pandemie so sehr im Fokus wie Bergamo.

Bergamo im März 2020 war wirklich die Hölle auf Erden. Diese Bilder werde ich nie vergessen. Die Sirenen Tag und Nacht, die vielen Toten. Es war schrecklich.

Wie empfindest du jetzt dort das Leben? 

Die Restaurants und Cafés sind wieder gut besucht, das Leben hier ist fast wie vor Corona. Die Inzidenz liegt bei ungefähr 70. Aber das liegt auch daran, dass wir eine Impfquote von etwa 95 Prozent haben. Hier lassen sich fast alle Menschen regelmäßig testen, in den Restaurants gilt 2Gplus, geimpft und getestet. Daran hält man sich hier. Wer den März 2020 hier erlebt hat, weiß genau, wie gefährlich dieses Virus ist.

Machst du dir Sorgen um deine Familie, die am Niederrhein lebt?

Ja, es ist surreal. Im Frühling 2020 haben uns unsere Eltern jeden Tag voller Sorgen angerufen: Geht es euch noch gut? Seid ihr gesund? Jetzt stellen wir den Eltern die gleichen Fragen. Und wir haben ihnen angeboten, vorübergehend hierher zu ziehen, weil es hier sicherer ist.

In der Bundesliga wird nach dem 3:2-Sieg des FC Bayern bei Borussia Dortmund mehr denn je über den Videobeweis diskutiert. Wie ist deine Meinung?

Ich finde, dass er vieles im Sport kaputt macht. Und dass er, wie er aktuell benutzt wird, einfach nicht sinnvoll ist. Man müsste als Verein, als Spieler, als Fan den gesamten Prozess des Videobeweises mitverfolgen können. Die Diskussion um die Schiedsrichterentscheidungen beim Sieg des FC Bayern in Dortmund sind doch vor allem deshalb entbrannt, weil keiner wusste, was zwischen Schiedsrichter und Kölner Keller besprochen wurde. Und solange dieser Prozess nicht öffentlich gemacht wird und jeder mithören kann, was da geredet wird, kann man es halt auch nie richtig nachvollziehen. Und solange sich das nicht ändert, sehe ich absolut keinen Mehrwert beim Videobeweis, weil noch mehr Fehlentscheidungen getroffen werden oder Entscheidungen revidiert werden, die man nicht hätte revidieren müssen. Als Sportler kann ich eher akzeptieren, wenn ein Schiedsrichter einen Regelverstoß nicht gesehen hat. Dann ist es menschliches Versagen, das ist okay. Aber wenn man mithilfe der Technik dann Fehler macht, dann kann ich das nicht mehr verzeihen. Dann lieber weg mit dem Videobeweis und zurück zu den Wurzeln.

Robin, reden wir noch über wirklich Schönes. Du bist im Oktober Vater geworden. Wie ist das Leben zu dritt?

Es ist das vollkommene Glück. Ich habe den größtmöglichen Sinn des Lebens verstanden. Eine Familie gründen. Das begreift man irgendwie in dem Moment, wo man diese Verantwortung spürt. Okay, ich habe jetzt wirklich ein Baby, ein Wesen, das auf meine Hilfe angewiesen ist. Das heißt, wir vergessen mal die Sorgen um meine Verletzung. Wir sind jetzt einfach nur glücklich.

Es gibt immer wieder Spekulationen, dass dieses Familienleben wieder in Deutschland stattfinden könnte. Wie sehr reizt dich ein Wechsel in die Bundesliga?

Dort möchte ich auf jeden Fall noch in meiner Karriere spielen. Aber ich habe hier in Bergamo einen laufenden Vertrag. Und wir fühlen uns hier sehr wohl.

Dein Buch „Träumen lohnt sich“ ist ein Bestseller, wird von Kritikern gefeiert. Wie schaust du mit Abstand auf dein Buch? 

Ich habe damals lange überlegt, weil ich mir dachte, wenn ich ein Buch schreibe, dann möchte ich alles erzählen, auch über die Schattenseite des Business. Ich habe viel mit meinen Eltern, mit meiner Verlobten geredet. Soll ich das wirklich machen? Und dann habe ich aber gedacht: Okay, du hast vielleicht diese Chance nur einmal, das aufzuschreiben, was du auf der Seele hast. Und dann habe ich es halt gemacht und bin unfassbar stolz über die durchgehend positive Resonanz. Ich bin EDEL SPORTS sehr dankbar, dass man mir die Möglichkeit gegeben hat, dieses Buch zu schreiben.

Hat das Buch dich verändert?

Ja, ich glaube, es hat dazu geführt, dass man sich sehr intensiv mit sich selbst auseinandersetzt hat. Das Buch hat eine Tür zu mir selbst geöffnet. Das war ein wichtiges Thema auch für meine Persönlichkeitsentwicklung.

Ist ein zweites Buch denkbar? 

Ja, das kann ich mir vorstellen. Allerdings nicht während meiner aktiven Zeit, sondern wirklich als Rückblick auf meine Karriere. Ich hoffe, dass ich dieser Karriere noch zwei, drei schöne Kapitel hinzufügen kann. Nur dann macht es Sinn, darüber zu schreiben.


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