11/02/2022

Hilde Gerg im Interview: „Wilde Hilde? Der Name hat mir erst gar nicht gefallen“

Sie zählte zu den besten Skirennläuferin der Welt. Ihren größten Erfolg feierte Hilde Gerg mit ihrem Olympiasieg im Slalom bei den Olympischen Spielen 1998 in Nagano. 2021 erschien ihr Buch „Der Slalom meines Lebens“ mit Co-Autor Taufig Khalil. Im EDEL-SPORTS-Newsletter spricht sie über ihren Triumph, ihren Spitznamen, ihre Autobiografie und die Chancen der deutsche Mannschaft in Peking.

Hilde, welche Erinnerungen verbindest du mit dem 19. Februar 1998, deinem Slalom-Olympiasieg in Nagano?

Vor allem den Moment, als ich auf der Anzeigetafel die 1 hinter meinem Namen sah. Da wusste ich, ich habe es geschafft. Ich war Olympiasiegerin.

Wie verlief die Siegerehrung?

Sie fand erst am nächsten Abend nach dem Riesenslalom im Zentrum von Nagano statt, was selbst ohne Verkehrschaos eine Stunde Fahrzeit bedeutete. Wir saßen in einem offiziellen Bus und steckten fest. Es gab kein Durchkommen und wir bekamen mehr und mehr das Gefühl, dass wir unsere eigene Siegerehrung verpassen würden. Dank einer Polizeieskorte kamen wir gerade noch rechtzeitig an. Wir sind raus aus dem Bus, rein in die Jacken und rauf auf das Podest. Dort gab es zunächst die Siegerehrung für die Kombination mit dem deutschen Dreifachsieg. Links stand Martina (Ertl, die Redaktion) mit ihrer Silbermedaille, in der Mitte Katja (Seizinger, die Redaktion) mit Gold und rechts ich mit meiner Bronzemedaille. Das war wirklich irre.

Und dann gab es bei der nächsten Siegerehrung die Goldmedaille für dich…

Genau. Du stehst ganz oben auf dem Treppchen und hörst die Hymne deines Landes. Mehr geht nicht.

Viele Olympiasiegerinnen und Sieger berichten, dass sie nach einem solchen Triumph in ein mentales Loch fallen. Wie war das bei dir?

Im Weltcup ging die Saison ja sofort weiter. Es war nicht leicht, sich wieder sofort zu fokussieren, wenn man noch voller Euphorie ist und man gerade etwas ganz Besonderes geleistet hat. Eigentlich war es schade, dass ich diesen Triumph nicht noch länger genießen konnte.

Wo bewahrst du deine Medaillen auf?

Ich stand vor einigen Jahren mit Moritz Fürste (auch über ihn gibt es eine Biographie bei EDEL Sports, „Aus Liebe zum Sport“, die Red.) vor der Kamera. Mo, wie ihn alle nennen, hatte bei Olympischen Spielen mit der Hockey-Nationalmannschaft zweimal Gold und einmal Bronze gewonnen. Seine Frau hat die Medaillen in einen schönen Rahmen gesteckt. Das habe ich mir abgeschaut. Der Rahmen hängt jetzt über unserem Kachelofen, auf dem Ofen stehen die beiden Glaskugeln von meinen Super-G-Weltcupsiegen. Und je älter ich werde, umso stolzer werde ich auf diese Erfolge. Da sieht man, was man geleistet hat in seiner Karriere.

Vor den anstehenden Olympischen Spielen in Peking kann von einer solchen deutschen Dominanz im Alpinen Skisport nicht mehr die Rede sein. Woran liegt das?

Damals hatten wir das Glück, dass wir mit Martina, Katja und mir drei Mädels hatten, die ständig Top-Fünf-Platzierungen erreicht haben. Dazu gab es weitere Athletinnen aus dem Top-15er oder Top-30er Feld. Mit so vielen guten Läuferinnen im Team ist das Training natürlich qualitativ besonders hochwertig. Alle spornen sich gegenseitig an, dazu kam ein extrem gut funktionierendes Trainer- und Funktionärsteam. Mittlerweile ist die Schneelage in Deutschland viel schwieriger geworden. Damit die Kinder im Alter von zehn, elf Jahren trainieren können, müssen sie dem Schnee quasi hinterher reisen. Das bedeutet viele Auswärtsübernachtungen. Was eine gute Grundausbildung, wie wir sie früher genossen haben, viel schwieriger macht.

Was ist drin für das deutsche Frauen-Aufgebot in Peking?

Unser Team ist in der Spitze zwar deutlich kleiner geworden, aber immer noch schlagkräftig. Lena Dürr etwa traue ich von ihrer Form her auf jeden Fall eine Top-Fünf-Platzierung zu. Ob es dann zu einer Medaille reicht, hängt auch von dem notwendigen Quäntchen Glück ab.

Wie oft fährst du noch Ski?

Vergangenen Winter bin ich kaum gefahren, weil die Skilifte zumeist geschlossen waren. In dieser Saison habe ich gemerkt, wie sehr ich das vermisst habe. Sich oben dem Berg bewegen dürfen und einen Sport ausüben, den man wirklich gut kann. Aber natürlich fahre ich nicht mehr mit Vollgas, zumal ich ja auch nicht mehr wie früher auf abgesperrten Pisten unterwegs bin.

Die Zeiten der Wilden Hilde sind also unwiderruflich vorbei.

Auf der Piste auf jeden Fall (lacht). Den Spitznamen habe ich ARD-Kommentator Gerd Rubenbauer bei den Spielen 1994 in Lillehammer zu verdanken. Mir hat der Name zunächst gar nicht gefallen. Der hatte immer einen negativen Beigeschmack. Die fährt zu forsch. Die ist unkonzentriert. Wenn man wild dagegen positiv besetzt, dann steht das ja für etwas wirklich Außergewöhnliches. Mittlerweile wird Wilde Hilde ja für alles Mögliche verwendet. Etwas für Gewürze, für Getränke, für Comics.

In deinem Buch schreibst du auch über sehr Privates, etwa über den Tod deines Mannes Wolfgang, der 2010 im Alter von nur 40 Jahren an einem Aortenriss starb. Wie viel Überwindung hat dich das gekostet?

Ich habe darüber ja auch schon vor dem Erscheinen des Buchs in dem ein oder anderen Interview gesprochen. Das war für mich auch ein Stück Verarbeitung meiner Trauer. Diese Phase in meinem Buch nun auszusparen, hätte ich nicht richtig gefunden. Sterben ist nie schön, aber ein Teil unseres Lebens.

Wie sind die Rückmeldungen auf das Buch?

Ich habe sehr viel positive Resonanz bekommen. Mir haben trauernde Angehörige geschrieben, dass ihnen das Buch geholfen hat, durch die schwere Zeit zu kommen. Das hat mich sehr bewegt. Aber auch abseits dieses Kapitels gab es sehr positive Reaktionen. Manche schreiben, dass sie das Buch in einem Rutsch auf der Couch durchgelesen hätten.

Wie war die Zusammenarbeit mit deinem Co-Autoren Taufig Khalil, der für den Bayrischen Rundfunk als Sportredakteur arbeitet?

Sehr gut. Dabei kannten wir uns zuvor nur von wenigen Interviews. Aber das Zwischenmenschliche bei uns hat immer gestimmt. Wir waren auf einer guten Wellenlänge, das Vertrauen war da. Mir hat vor allem gefallen, dass Taufig nie versucht hat, mir etwas in den Mund zu legen, um mit dem Buch für Schlagzeilen im Boulevard zu sorgen.

Als ausgebildete Functional Trainerin machst du nun Frauen und Männer aus allen Altersgruppen fit, auch nach Verletzungen und Krankheiten. Du wirst auch gern von Unternehmen für Ski-Events gebucht. Ist das wirklich erfüllend, wenn man sein halbes Leben mit Spitzensportlern zugebracht hat? 

Absolut. Ich finde das sogar erfüllender als mit Leistungssportlern zusammenzuarbeiten. Man sieht die Fortschritte viel schneller. Ich finde es großartig, Leute zu bewegen sich zu bewegen. Außerdem schöpfe ich aus einem großen Erfahrungsschatz. Ich hatte selbst schwere Verletzungen und weiß, wie hart es sein kann, sich in einer Reha zu quälen. Motivation ist das alles Entscheidende.

Alle Informationen zu den Trainings-Angeboten von Hilde Gerg finden Sie im Internet unter www.hilde-gerg.de.  Auch Ferienwohnungen im oberbayerischen Landkreis Berchtesgadener Land können hier zur Miete angefragt werden.

In ihrer Autobiografie „Der Slalom meines Lebens“ erzählt die dreifache Mutter Hilde Gerg von ihrer Leidenschaft für den Skisport, ihrem Aufstieg in die Weltspitze und ihren großen Erfolgen – aber auch von Verletzungen, Krisen und den dunklen Seiten des Lebens.

Paperback. 288 Seiten. 18,95 EUR


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