Interview: BOB HANNING
„Das ist für unseren Sport eine riesige Chance“
Mit seiner Autobiografie „Hanning. Macht. Handball“ sorgte er für viele Schlagzeilen. Im Interview mit EDEL SPORTS spricht Bob Hanning (53), Geschäftsführer des Handball-Bundesligisten Füchse Berlin und von 2013 bis 2021 Vizepräsident des Deutschen Handball Bundes (DHB), über die Perspektiven des deutschen Handballs, seinen Streit mit der Handball-Legende Heiner Brand und die Zusammenarbeit mit Co-Autor Christoph Stukenbrock.
Bei der Handball-EM in Ungarn und der Slowakei fehlen in der deutschen Mannschaft viele bekannte Gesichter. Dabei geht es keineswegs nur um Verletzungen oder Erkrankungen. Mehrere Spieler haben aus privaten Gründen abgesagt, was nicht nur der ehemalige Bundestrainer Heiner Brand kritisiert. Wie ist Deine Einschätzung?
Ich kann nachvollziehen, dass es Spieler gibt, die nach vielen Jahren im Spitzenhandball sagen, ich muss jetzt an meinen Körper denken, um überhaupt noch durchzuhalten. Für Spieler, die mit ihrem Verein in der Champions League spielen, ist die Belastung mit den ständigen Welt- und Europameisterschaften sowie den Olympischen Spielen enorm. Von einer pauschalen Kritik halte ich nichts, jeder Einzelfall verdient eine gesonderte Betrachtung, etwa wenn es um einen Spieler geht, der aus einer längeren Verletzungspause kommt. Richtig ist allerdings auch, dass die Besten für Deutschland spielen sollten. Die Nationalmannschaft ist und bleibt der Motor und der Erfolgsfaktor für unsere Sportart.
Juri Knorr spielt nicht, weil er sich nach überstandener Corona-Erkrankung nicht impfen lassen will.
Das finde ich in der Tat schade. Als Sportler sind wir auch Vorbilder. Zumal wir gerade im Spitzensport immer wieder Medikamente nehmen, da sind wir sehr freizügig.
Bundestrainer Alfred Gislason plädiert dafür, die Bundesliga von 18 auf 16 Vereine zu reduzieren, um den Terminplan zu entzerren.
Ich kann das nicht mehr hören. Das ist immer die Frage, auf welchen Stuhl man sitzt. Als Trainer beim THW Kiel hat Alfred das noch anders gesehen. Die 18er-Liga wird wie im Fußball bleiben, das bedarf keiner weiteren Diskussion. Denn es kann noch immer der Letzte den Ersten schlagen. Von daher ist die Bundesliga die stärkste Liga der Welt.
Wie kann man die Belastung denn reduzieren?
Das Belastungsproblem stellt sich nur die Teilnehmer an der Champions League. Ich sehe zwei Wege. Wir könnten ähnlich wie im Eishockey den Spielplan anders takten, mehr bündeln, also etwa über drei Wochen Donnerstag, Sonntag, Dienstag spielen, dann könnten wir den Spielern längere zusammenhängende Pausen gönnen. Und wir könnten den Modus im Pokal ändern. Die vier Top-Klubs wären gesetzt und automatisch für die Runde der letzten acht Teams qualifiziert. Dann hätten diese Vereine nur noch diese Runde und beim Weiterkommen das Final Four, also nur noch zwei Termine.
Mittelfristig sind die großen Ziele der Nationalmannschaft die EM 2024 im eigenen Land im Januar 2024 sowie sechs Monate später die Olympischen Spiele in Paris. Welche Rolle spielt auf diesem Weg die EM in Ungarn und Slowenien?
Ich bin froh, dass wir den Umbruch jetzt in dieser Konsequenz machen. Und dabei helfen uns auch die Absagen. Wer mich kennt, weiß, dass ich immer hohe Ziele stecke und sage, dass wir bei solchen Turnieren das Halbfinale erreichen sollten. Das muss unser Anspruch sein. Bei dieser EM werden wir sehen, was Alt und Jung miteinander schaffen können. Um die Austragung der EM 2024 im eigenen Land habe ich auch deshalb so gekämpft, weil wir damit für die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Paris die besten Voraussetzungen haben.
Kann sich bei der EM 2024 das Wintermärchen der WM 2007 wiederholen? Damals entfachte das Team von Heiner Brand durch den WM-Sieg im eigenen Land eine ungeheure Euphorie.
Bitte lass' mich dazu etwas ausholen. Ich mache mir grundsätzlich sehr, sehr große Sorgen um unseren Sport und um unsere Kinder. Es ist ja bekannt, dass ich auch Jugendtrainer bin und diesen Job mit viel größerer Leidenschaft mache als alle anderen Jobs. Durch die Corona-Auflagen haben viele D-Jugend-Teams fast gar nicht mehr gespielt. Die Handball-Verbände haben aus lauter Angst vor möglichen Ansteckungen Wettbewerbe abgesagt, obwohl diese hätten stattfinden können. Ich finde dies mutlos. Das hat dazu geführt, dass viele Kinder zu anderen Sportarten gewechselt sind. Und wenn du im Verein ein Team von sagen wir elf Kindern hast und drei hören auf, dann ist die gesamte Mannschaft in Gefahr. Die Folgen wie Bewegungsmangel und Vereinsamung sehen wir jetzt. Mich treibt das sehr um. Ich fürchte einen Mitgliederschwund im DHB. Wir haben es zwar geschafft, den Spielbetrieb in der Bundesliga sowie den Zweiten und Dritten Ligen aufrechtzuerhalten. Das gilt auch für die Deutschen Meisterschaften in der A- und B-Jugend. Wir haben also die Spitze erhalten. Aber ohne Breite gibt es diese Spitze nicht.
Und jetzt hoffst du auf eine neue Euphorie durch die EM 2024 im eigenen Land.
Genau. Das gilt auch für die U21-WM 2023, wo wir ebenfalls gemeinsam mit Griechenland Gastgeber sind, sowie für die Frauen-WM 2025, die wir mit den Niederlanden austragen werden. Und auf Sicht gehört dazu auch die Männer-WM 2027 in Deutschland. Noch nie hat der deutsche Handball über einen Zehn-Jahres-Zeitraum in einem solchen Fokus gestanden. Das ist für unseren Sport eine riesige Chance.
Kann der Handball auch davon profitieren, dass der Profifußball durch die irrwitzigen Gehälter und Ablösesummen immer mehr Imageprobleme hat?
Ich will stark sein, weil ich Handball mache, nicht weil andere ein Problem haben. Wir müssen jetzt unsere Hausaufgaben erledigen, wir sind die Ballsportart Nr. 1 hinter Fußball. Wir haben die wirtschaftlichen Möglichkeiten, wir haben Großereignisse im eigenen Land. Wenn wir diese Chancen nicht nutzen, wäre es fatal.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Handball vielerorts vor allem ein Ü-60-Publikum bedient.
Ich war neulich zufällig bei einem Volleyball-Spiel in Potsdam. Da habe ich den Altersdurchschnitt auf der Haupttribüne um gefühlt 15 Jahre gesenkt. Im Handball müssen wir um die jüngere Generation kämpfen, viel mehr in den Sozialen Netzwerke machen.
Bob, dein Buch hat für viel Wirbel gesorgt. Wie siehst du dein Werk mit etwas Abstand?
Mit Stolz, mit großem Stolz. Ich habe es über die Weihnachtstage nochmal gelesen. Und ich war begeistert. Von der ersten bis zur letzten Zeile. Ich bin überwältigt von der positiven Resonanz. Dies ist auch ein großer Verdienst meines Co-Autoren Christoph Stukenbrock, mit dem ich viele Stunden gesprochen habe. Christoph hat sich mit seiner feinfühligen Art ganz in mich reinversetzt.
Dabei wolltest du eigentlich ein anderes Buch schreiben.
Das stimmt. Eigentlich wollte ich ein Buch über Führung schreiben. Mit dem Titel: Wer Menschen führen will, muss Menschen lieben. Aus diesem Projekt wurde dann eine Autobiografie. Ich wollte den Leuten zeigen, wer der Mensch mit diesen bunten Pullovern eigentlich ist. Wie viel Kraft es kostet, Dinge zu verändern. Und am Ende ist es eine Hommage an unseren Sport, an den Handball.
Naja, mit manchen Personen gehst du aber auch hart ins Gericht. Besonders mit Heiner Brand, der dir in einem Interview eine „sehr narzisstische Persönlichkeitsausprägung“ bescheinigt hatte. Du schreibst, dass du deiner Mutter kurz vor deren Tod das Versprechen gegeben hast, nicht zu seiner Beerdigung zu gehen.
Wenn du das Kapitel aufmerksam liest, spürst du aber auch meine Wertschätzung gegenüber Heiner. Ich schreibe, wie viel ich ihm als sein damaliger Co-Trainer zu verdanken habe. Wir hatten eine sehr gute und ehrliche Zeit miteinander. Und ich habe ihm extrem viel zu verdanken. Aber als Vizepräsident habe ich den Verband dann umgebaut, zum Teil auch brachial. Dabei kam es zum großen Bruch, weil er meinen Angriff auf den DHB als Angriff gegen ihn gewertet hat. Eines habe ich aus dieser Zeit gelernt. Ich werde nie wieder ein Unternehmen sanieren und dann dort weiterarbeiten. Entweder saniert man ein Unternehmen und geht dann. Oder man kommt erst nach der Sanierung.
Ist eine Versöhnung mit Heiner Brand denkbar?
Wenn es dem Handball dienen würde, dann müssten wir es versuchen. Aber Heiner ist raus. Und ich bin nicht mehr Vizepräsident. Also ist ein solcher Schritt nicht notwendig.
Wird es ein weiteres Buch geben?
Jedenfalls keine Fortsetzung der Autobiografie, da ist alles gesagt. Aber ein Buch über Führung mit praktischen Beispielen wäre für mich denkbar. Ich weiß nicht, ob daran ein Verlag Interesse haben könnte. Aber das Thema wäre spannend. Vielleicht sogar als Thriller.

„Hanning. Macht. Handball“ : Ein Buch über große Siege und schmerzhafte Niederlagen, mit einmaligen Anekdoten und spannenden Einblicken hinter die Kulissen dieser faszinierenden Sportart. Ein Buch, in dem so manches Geheimnis gelüftet und das für Gesprächsstoff nicht nur in der Handballwelt sorgen wird. Denn wer Bob Hanning kennt, weiß, dass der Wahlberliner kein Blatt vor den Mund nimmt und keine Konfrontation scheut.
Paperback. 240 Seiten. 19,95 EUR